Sommer mit Seele. Martin Mosebach: „Der Mond und das Mädchen“ (2007)

Darf man das? Heute noch so schreiben, wie es im 18. Jahrhundert schick gewesen wäre? Oder wie es einem Thomas Mann zur Ehre gereicht hätte? Wo liest man noch, dass jemandem bei Abschluss eines Mietvertrages „blümerant zumute“ (S. 29) war? Oder Sofa mit ph statt f?


Ein frisch verheiratetes Paar möchte nach Frankfurt ziehen. Während Ina mit ihrer Mutter, einer recht versnobten Dame namens Ida von Klein, die sich nur in besseren Kreisen wohl fühlt, in Italien weilt, begibt sich Hans allein auf die Ochsentour der Wohnungssuche. Es ist Hochsommer und Frankfurt leidet unter sengenden Temperaturen. Der Wohnungsmarkt ist schwierig.

Nach unzähligen Besichtigungen streckt Hans schließlich die Waffen und mietet als Notlösung eine heruntergekommene Dachwohnung im Frankfurter Bahnhofsviertel am Baseler Platz. Da gibt es eine ganz Menge schräger Gestalten. Ina soll es recht sein, sagt sie. Sie vertraue ihm vollkommen bei der Wahl der Wohnung.

Hans hingegen scheint sich recht schnell zu arrangieren. Nicht nur mit der Wohnung. Aus ganzer Seele verspürt er eine Neugier auf alles, was das Leben zu bieten hat. Alles hat Entdeckerwert. Da stören nicht mal Autoabgase: „Eine gleichsam wattige Substanzhaftigkeit gehört geradezu zur Stadtluft“, nimmt er wahr, als er die Straßen mit dem Fahrrad durchstreift (S. 9). Mit einer bunt zusammengewürfelten Gesellschaft im Hinterhof der neuen Wohnung, bedient vom Schnellimbiss eines Äthiopiers, und dem Ehepaar ein Stockwerk tiefer freundet er sich schnell an.

Vor allem Britta lässt ihn nicht los. Nun ja – wortwörtlich. Und zwar in jener Nacht, als Ina ihn aussperrt und Brittas freizügiger Mann, Dr. Elmar Wittekind, gleich daneben im selben Bett liegt. Nach dem begangenen Ehebruch weiß der auktoriale Erzähler zu berichten: „Hans fühlte den Wunsch, sich treiben zu lassen, womöglich gar von zuhause wegtreiben zu lassen“ (S. 159).

Anders als die neugierige Natur Hans ist Ina eher empfindlich, wird als zart beschrieben. Sie hat Kunstgeschichte studiert und kommt aus gutem Hause. Dem abnehmendem Mond gleich – Mosebach lässt seine Geschichte in der Zeit des Vollmondes bis zum Neumond spielen – tritt auch Ina eher in den Hintergrund der Geschichte. Doch gegen Ende meldet sie sich schlagkräftig zurück: nämlich mit einem überraschenden Schlag mit einer Flasche auf den Kopf ihres Mannes. Der Schlussstrich unter die gesamte Geschichte über den Einzug in eine Wohnung, unter der sie seelisch zu leiden begann. Kurz: Mit dem Mond nimmt auch ihr seelisches rapide Glück ab.

Bereits die erste Nacht in der Wohnung war ein völliges Desaster: Eine Taube hatte sich tagsüber eingenistet und sich dabei zu Tode geflattert. Daraufhin verbringen die beiden die Nacht im Hotel. Später braucht es dann nur noch ein Missgeschick von Hans – bei der Einladung zu einer Party verwechselt er die Tage und die beiden stehen festlich zurechtgemacht vor verschlossenen Türen – und der Haussegen hängt komplett schief.

Trotz ihres sozialen Rückzugs findet auch Ina Zutrauen in jemanden, und zwar in Urban Sieger, dem übergewichtigen Hausbesitzer. Sie schätzte seine Offenheit und „fühlte eine innere Saite schwingen, solange sie ihm zuhörte“ (S. 147).

Zur Komödie gerät dabei die Episode mit den vertauschten Eheringen: Beim Einzug des Paars ließ Urban Sieger seinen Ring in der Dachwohnung des Ehepaars, zu der einige Möbelstücke gehören, liegen. Schon vorher hatte Hans seinen Ehering bei Britta verloren und nimmt stattdessen den von Sieger zum Ersatz. Bevor Ina noch etwas merkt. Nun sucht Urban Sieger aber seinen Ring. In der Zwischenzeit wirft Britta Hans‘ Ring in den Briefkasten des Ehepaars. Ina findet ihn und glaubt, es sei Siegers Ring, und gibt ihn an den Hausbesitzer weiter. Die Ringe sind fortan vertauscht.

Ordnung und Unordnung des ehelichen Lebens werden hier wie in einem Kabinettstück durchgespielt und betten sich in die Gesamtkonstruktion, die mit Gegensätzen spielt, ein: die Antagonismen der Milieus von Bürgertum und sozialen Randgruppen, von Gegenwart und der Sprache einer vergangenen Epoche. Auch dass der Titel von Ina spricht, die Geschichte aber fast durchgehend aus der Perspektive Hans‘ geschildert wird, gehört hierher.

Am Ende ist es Ina, die die eheliche Ordnung wieder herstellt. In einem zeitlichen Sprung berichtet der Erzähler auf den letzten Seiten, die zwei hätten nun ein Haus in ruhiger Lage und zwei Kinder. „Es war eigentlich nicht so, daß der junge Mann an Kinder dachte. Er wollte mit Ina als Liebespaar leben“ (S. 11). So startete für Hans noch das Abenteuer Frankfurt. Doch der Ausbruchsversuch in ein Leben voller Möglichkeiten gab eben nur eine Geschichte für einen überheißen Sommer her. Am Ende lässt er sich wieder eingefangen, am Ende übernimmt seine Frau die Kontrolle.

So leicht dieses Sommerstück auch ist, mit dem Mosebach 2007 seine Reihe von Frankfurt-Romanen fortführte, so sehr scheint der Roman auf der philosophierenden Frage insistieren zu wollen: Was ist das eigentlich – wohnen? „Wer eine Wohnung sucht, hat es mit einem der seltenen Augenblicke zu tun, in denen der Mensch wirklich einmal glauben darf, über die Zukunft seines Lebens zu entscheiden, denn im Wohnen, so vieldeutig dies Wort eben ist, liegt doch das ganze Leben beschlossen“ (S. 5). So lautet der sperrige erste Satz des Romans.

Was ist das Eigene? Was ist das Fremde? Und wie kommt man klar in einem neuen Wohnviertel? Wie ein Seelenlicht scheint der abnehmende Mond die Bedürfnisse der heterogenen Figuren dieser Geschichte zu erhellen.

Oder müssen auch all diese Fragen ins Gegenteil verkehrt werden? Löst sich der ganze Metaphysikverdacht nicht in der ironischen Erzählhaltung auf, die – neben dem stilisierten Satzbau und den ausgedehnten Satzlängen – auf Distanz zu den Figuren geht?

Spannend sind solche Überlegungen zur Bauform eines Buches ja allemal. Doch der Weg, der im anstrengenden Roman „Der Mond und das Mädchen“ von Martin Mosebach zu diesen Fragen führt, ist recht beschwerlich geraten. Es fällt schwer, mit dieser Sprache warm zu werden. Es fällt schwer, darin eine Stilaussage zu sehen.