Ernte gut, alles gut. Theresa Hannig: „Pantopia“ (2022)

Das Cover des Romans „Pantopia” von Theresa Hannig ist schwarz-grün gestaltet. Ob der Verlag für den Herbst 2021 auf eine schwarz-grüne Bundesregierung spekuliert hatte?

Das politische Farbenspiel, das man der Covergestaltung entnehmen könnte, gibt jedenfalls die Richtung dieses Buches vor. Umweltschutz erreichen, aber bitte mit den Mitteln des „perfekten Kapitalismus“, wie es im Buch heißt. Und es ist ja der konservative Kern der grünen Partei in Deutschland, das aktuell herrschende Wirtschaftssystem zu bewahren und als Instrument für die eigenen Ziele zu nutzen. Schwarz-grün ist eben auch die Welt in diesem Zukunftsroman, der sich dank seiner zentralen Idee zur Utopie steigert.

Die Mittzwanzigerin und Multimilliardärin Patricia Jung – neben dem gleichalten und ebenfalls steinreichen Henry Shevek Hauptperson des Romans – stand folgerichtig der Bewegung Fridays for Future nahe. Es ist ein Stück weit diese junge Generation, der „Pantopia“ eine Stimme verleiht. Und etwas erstaunt liest es sich schon, dass diese Generation so absolut auf Affirmation statt Kritik setzt und den Planeten mit den Instrumenten des bestehenden Systems retten möchte. Ob es damit zu tun hat, dass sie – aufgewachsen mit dem Smartphone in der Hand und dem Selbstverständnis, mehrmals im Jahr in entfernte Länder zu reisen – wie kaum eine zuvor von der Zerstörung des Planeten profitiert hat? Geht es bei der Vermeidung von kritischen Entwürfen zur Frage, wie wir anders und umweltschonender leben wollen, um Besitzstandswahrung? Das System erhalten, um den Verlust des hohen Lebensniveaus nicht zu riskieren? Andererseits: Kritisch war die Generation der 68er bis zum Anschlag. Gebracht hat es nichts. Zuhören darf man der jungen Generation und ihrem Entwurf in jedem Fall.

Also: Braucht es lediglich genug Kapital und alles wird gut? „Die Redewendung ‚Geld regiert die Welt‘ ist wahrer, als den meisten Menschen bewusst ist“ (S. 332). So sinniert denn auch an einer Stelle des Buches Einbug. Einbug? Das ist die Künstliche Intelligenz, die im Roman von den beiden Programmierern Patricia und Henry entwickelt wird (wodurch die beiden zu Multimilliardären wurden) und die aufgrund eines Bugs zu einer sogenannten starken KI erwächst: Sie hat Selbstbewusstsein, kann selbstständig denken. Diese revolutionäre Erfindung steht im Zentrum von „Pantopia“. Und diese Software arbeitet mit ihrem unglaublich großen Datenvolumen an der Instrumentalisierung des Kapitals zu Zwecken des Umweltschutzes.

Auch bei dieser Konzeption bzw. allein schon beim Namen der KI mit ihrem Wortbestandteil „Ein-“ wird die schwarz-konservative Ausrichtung des Buches deutlich. Die klassische Philosophie samt Platon und Plotin bis hinein in die Moderne lässt grüßen. Denn diese hielt es ja ganz gerne mit dem Einen als Prinzip (auch wenn es wie bei Hölderlin und anderen das „Eine in sich unterschiedene“, also doch wieder zweigeteilt war). Die großen Religionen dieser Welt nicht zu vergessen, die bekanntlich Monotheismen sind.

Es ist diese Liebe zum Subjekt, zum Einen und Einzigen, an der die Generation von Fridays for Future festhält. So muss man bei der Lektüre von „Pantopia“ schlussfolgern. Das muss man auch den Worten eines jungen Mitstreiters von Pantopia namens Tom entnehmen. In einem Streitgespräch mit seinem Vater zur Frage nach der Rettung des Planeten, was die Elterngeneration bisher dafür getan habe und die junge Generation nun zu tun gedenke, ruft er – in die Ecke – gedrängt schließlich aus: „Das ist meine Zukunft! Mein Leben!“ (S. 405) Bei so viel Ichbezogenheit ist man eben doch ein bisschen baff. Den Planeten retten, um selbst ein angenehmes Leben zu führen? Warum wird das Umweltthema so sehr auf das Ich heruntergebrochen? Erneut: Geht es um den Planeten (Objekt) oder das eigene Leben (Subjekt)? Und sind Ichliebe und der Wunsch nach höchstem Komfort, die der Kapitalismus bedient, nicht die Ursachen der Zerstörung von Klima und Umwelt? Kann die Ursache des Problems die Lösung sein?

In Theresa Hannigs Roman jedenfalls geht es um den perfekten Kapitalismus, der in Pantopia Unternehmen und Produkte via Preisgestaltung unterstützt – oder bestraft. Je nachdem, ob die Produkte umweltschonend und fair hergestellt wurden und aus der näheren Region kommen oder nicht. So herrscht in Pantopia die reine Vernunft. Allerdings nur, weil es Zwänge gibt. „Was gut ist, wird verstärkt. Was falsch ist, wird bestraft“ (S. 178). Das klingt nicht ganz so heimelig. Allerdings gibt es einen reichen Segen für alle, die bei Pantopia mitmachen: Es lockt ein bedingungsloses Grundeinkommen von rund 3000 Euro monatlich. Hannig lässt auch den berühmtesten Anhänger der reinen Vernunft zu Wort kommen: Immanuel Kant. Die Stelle erinnert übrigens etwas an die entsprechende Passage des Romans „Sophies Welt“ von Jostein Garder. In ähnlichem Ton schließt Hannig Kant mit dem Entstehen der UNO kurz. So schließt sich der Kreis. Die vernunftbegabte KI Einbug leitet und lenkt Preise und Geldströme auf dem Weltmarkt, die vernunftbegabten Mitglieder der Weltrepublik Pantopia führen ein zufriedenes Leben.

Vernünftig ist auch das Ziel, andere Menschen nicht als Mittel zum Zweck zu gebrauchen. Auch hier darf der Name Kant fallen. Es war immerhin die Basis seiner Moralphilosophie. Nur: Um Informationen über die Menschen zu erhalten, liest Einbug alle möglichen Bücher, die über Jahrhunderte hinweg publiziert wurden. Schön und gut. Aber er studiert eben auch mit gleicher Priorität Posts auf Social Media. Weil die Vernetzung der Menschen eine zentrale Rolle in diesem Buch einnimmt, spielt auch das Followersystem der sozialen Medien eine wichtige Rolle: Posts und Poesie werden im Roman „Pantopia“ gleichgestellt. Nur ist das so? Schaut man sich die sozialen Medien an, könnte man auf den Gedanken kommen, dass sich gerade hier Menschen gegenseitig als Mittel zum Zweck benutzen. Entweder, um beruflich voranzukommen (Xing, LinkedIn), oder um den privaten Account zu pushen oder für einen anderen Zweck zu nutzen (Instagram, Facebook, TikTok). Aber klar – so negativ oder gar unmoralisch muss man diese Medien nicht sehen und nutzen.

Hannig hat mit ihrem Buch „Pantopia“ ein modernes Märchen verfasst. Dafür nutzt sie versiert die gängigen Strategien der Spannungsbildung. Dass nach der ersten Hälfte des Romans auf einmal ganz andere Figuren auftauchen, die das Geschehen von einer komplett anderen Seite beleuchten und der Geschichte neuen Drive geben, und ihre Handlungen mit dem ersten Erzählstrang von Patricia und Henry verwoben werden, ist ein solches Mittel. Dass es sich dabei um eine Kommissarin und eine Journalistin handelt – zwei Aufklärertypen, Figuren, die etwas aufdecken und rausfinden können –, ist übrigens recht stark dem Schema des Heftromans entliehen. Und auch, dass diese beiden Figuren übertrieben böswillig angelegt sind. Gerade durch diese übertriebene Zeichnung vermeidet es die Autorin, ihren Figuren eine charakterliche Tiefe mit auf den Weg zu geben. Bei einem realistischen Erzählansatz müssten nun alle Alarmglocken schrillen. In einem Märchen, in dem auch mit Unwahrscheinlichkeiten gedealt wird, braucht es dies natürlich nicht. Ihre Stärke für den utopischen Entwurf des Romans gewinnen die Figuren aus ihrer Andeutung.

Dasselbe gilt für die beiden Hauptfiguren, die sehr holzschnittartig angelegt sind. „Ihr Herz gefror zu Eis“ (S. 393), so kurz und knapp ist einmal von Patricias immer wieder unter der Oberfläche brodelnden Gefühlen für einen Mann zu lesen.

Die Märchenstrategie gilt auch für das ein oder andere Logikproblem, über das man bei der Lektüre stolpert. Als die Anhänger Pantopias ein Demonstrationscamp ins Leben rufen, bauen sie mit großem Aufwand einen Schutzwall auf. Offenbar mit Erfolg:

„In der Nacht hatten die Demonstrierenden die Autos […] auf die Zufahrtstraßen gelenkt und dort abgestellt. Vielen Fahrzeugen hatten sie außerdem die Reifen abmontiert, damit sie nicht abgeschleppt oder weggeschoben werden konnten. Als die Wasserwerfer anrückten, stießen sie auf eine Wand von unverrückbaren tonnenschweren Autokarosserien. Zuerst wurde versucht, die Wagen beiseitezuschieben, doch sie verkeilten sich dadurch nur noch mehr und wurden zu einem unüberwindlichen Hindernis[.] Am Nachmittag gab die Polizei auf“ (S. 418–419).

Doch nur wenig später heißt es von den Demonstrierenden selbst: „Obwohl das Camp über Nacht schon wieder über die Grenzen der letzten Autoblockade hinausgewachsen war, war es ein Leichtes gewesen, die Barrikaden am nächsten Morgen einfach um ein paar Meter zu verschieben. Dutzende junge Männer und Frauen trugen die Autowracks die Straßen entlang“ (S. 420).

Wie geht das? Was der Staatsmacht nicht gelang, schaffen die jungen Leute im Handumdrehen? Es sind Stellen wie diese, an der die wundersame Wunschwelt des Märchens deutlich wird.

Auch bei anderen Stellen könnte man sich fragen, ob diese als Plädoyer für Umweltschutz gut gewählt sind. Als Patricia lediglich für ein Interview von Griechenland nach Deutschland fliegt, denkt man unwillkürlich an die Möglichkeit von Videochats. Auf der anderen Seite findet sich in diesem Buch eine ikonische Szene, die alle ansprechen dürfte, die schon mal in einem (Großraum-)Büro saßen: Eines Abends nämlich, als Patricia länger im Büro war und alle anderen längst gegangen sind, schreitet sie an allen ausgeschalteten Rechnern vorbei und macht die Bildschirme aus. Es ist ein Faszinosum, dass viele Menschen, die den Müll trennen und die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, ihren Monitor am Arbeitsplatz nach Feierabend gerne anlassen. Hier gelingt Hannig ein schönes Bild.

Doch das sind nur einzelne Szenen und vereinzelte Assoziationen. Dem Roman „Pantopia“ von Theresa Hannig geht es tatsächlich um etwas Großes. Das sollte man nicht aus dem Blick verlieren. Die Autorin hat sich mit diesem Buch literarisch an die Umsetzung eines neuen Gesellschaftsvertrags gemacht, den alle Mitglieder der neuen Weltrepublik Pantopia laut ihrer Satzung eingehen. Dieser Entwurf ist bewundernswert. Der Philosoph John Rawls dürfte dafür Pate gestanden haben. „Wahrheit ist schön“, sagt Einbug im ersten Teil des Buches immer wieder. Der spannende geschriebene Pageturner „Pantopia“ überzeugt deswegen auch als sehr gut lesbare Ästhetisierung des vernunftbegabten Denkens.

Böblingen und Bergamo, Basel und Berlin. Thommie Bayer: „Eine Kurze Geschichte vom Glück“ (2007)

Robert Allmann aus Freiburg, ehemaliger Musiker, freischaffender Texter und zwischenzeitlich Mitbegründer einer Künstleragentur, gewinnt im Lotto. Er ist einer von zwei Glückspilzen und erhält 6 Millionen Euro. Was soll jetzt noch folgen – außer dem vollendeten Glück natürlich? Nun ja, neben einer schicken Limousine gibt es ein paar Schicksalsschläge und jede Menge Selbstzweifel.

Bei der Benachrichtigung durch die Lotteriebehörde über den Gewinn, erhält Allmann den Rat, niemandem etwas davon erzählen. Daran will er sich auch halten. Bei seiner Frau möchte er aber eine Ausnahme machen. Oder nicht? Nein, doch, das will er. Ihr möchte er die frohe Kunde auf jeden Fall überbringen.

Und in diesem Hin und Her liegt in dieser Geschichte über das Glück auch schon der Hund begraben. Doch der Reihe nach.

Es ist ja schon mal nett anzumerken, dass bei bei dem Schweigepakt und dem Nichtzählen dennoch der Literatur das ganze Glück anvertraut wird – eine gute Nachricht. Sprache und Erzählhaltung des Romans nehmen einen auch sofort ein. Es gibt viele schöne Wörter, die man so noch nicht gehört zu haben glaubt.

Immer wieder ganze Sätze, die unglaublich leicht und poetisch wirken: „Ich besuchte das Baptisterium, es war beeindruckend hoch und von einer Zartheit, als wäre der Bau gehäkelt“ (S. 177). Immer wieder reichen einzelne Sätze aus, um Personen treffend zu charakterisieren oder eine Situation zu beschreiben. Die Formulierungen glänzen mit einer  wohltuenden Geschmeidigkeit.

Eine charmante Lässigkeit und gelassener Humor voller Selbstironie ziehen sich durch die Sätze. Das ist aber auch alles ein wenig solipsistisch. Darin erinnert Thommie Bayers „Die kurze Geschichte vom Glück“ an französischsprachige Autoren vom Schlage eines Philippe Djian oder noch mehr an Jean-Philippe Toussaint in dessen frühen Romanen.

Robert Allmann ist ebenfalls reichlich chauvinistisch. Mit den Gepflogenheiten in Sachen politischer Korrektheit hält er auch nicht gerade Schritt. Auch die Helden bei Toussaint schlitterten in Situationen, in denen sie auf sich selbst gestellt waren und die sie mit viel Witz oder Galgenhumor durchstehen mussten. Bei ihm verabschiedeten sich Ehefrauen recht schnell aus der Handlung. Das passiert auch Bayers Lottogewinner, als er ihr eigentlich mitteilen wollte, dass sie nun Millionärin ist.

Richtig schön soll es werden, wenn Allmann seiner Frau die Nachricht überbringt. Genau auf das Menü abgepasst will er ihr die Nachricht vom sorgenlosen Leben beim Abendessen servieren. Aber schon im ersten Akt geht alles schief. Noch bevor die Bombe platzt, gibt es dicke Luft zwischen den beiden und Regina, sein Frau, die er Wespe nennt, verlässt die Wohnung. Im Anschluss beginnt eine Geschichte, die zum Teil eine Roadstory ist und in der Allmann mit verschiedensten Überlegungen konfrontiert wird.

Diese Gedanken kreisen immer wieder um Ecki, einen ehemaligen Kompanion. Beide zusammen hatten eine Agentur ins Leben gerufen. Dabei wurde Allmann von Erik über den Tisch gezogen und Allmann verlor einiges an Geld. Kurioserweise waren es Eckis Zahlen, mit denen auch Robert Allmann Lotto spielte – deswegen weiß er auch sofort, wer der zweite Lottogewinner aus Baden-Württemberg ist.

Nachdem seine Frau das Weite gesucht hat, startet Allmann eine sanfte Konsumtour. Zu den amüsantesten Partien des Romans gehört die Passage, in der er über die Wahl der Automarke für sein neues Pkw nachdenkt. Dass der gebürtige Esslinger keinen Moment daran denkt, einen Mercedes zu wählen und sich für den ästhetischeren BMW entscheidet, regt mindestens zum Schmunzeln an.

Lokalpatriotismus hat er immerhin für Porsche übrig. „Es gibt auch Ästheten in Porsches, aber die prägen nicht das Bild“ (S. 21) – so haben die Luxussportwagen aus Zuffenhausen keine Chance. Dann vielleicht ein SUV? Das sei „neureich für Realschüler“ (S. 21) findet er, der ebenfalls kein Abitur hat. Seine Wahl fällt auf einen Cabrio von BMW. „Der Wagen fuhr sich phantastisch. Es war wie im Kino. Draußen sichtbar die echte Welt oder etwas, das ihr verblüffend ähnelte, und drinnen schwarzer, weicher Komfort“ (S. 48).

Der Bewusstseinsstrom an den aufwühlenden Tagen seit der Nachricht vom Lottogewinn wird strukturiert durch die Schilderung von Autofahrten. Da setzt man sich auch schon mal einfach so ins Auto. „Spazieren fahren. Zur Beruhigung“ (S. 57). Durch Südbaden steuert er seine „Maus“, wie er das Auto nennt. Bis nach Basel, durch das Elsass bis Colmar, zurück in Richtung Deutschland nach Karlsruhe und von da nach Freiburg oder nach Esslingen zu seinem Vater, vorbei an Böblingen oder über die Fildern.

Auch die Strecke Singen – Stuttgart steht auf dem Programm und wer diese schon einmal gefahren ist, weiß: Es gibt dort kein Tempolimit. So fließt die Geschichte dahin, flott und sanft, nur gelegentlich ausgebremst von Fahrern, die ein Auto, das 127 km/h fährt, mit 130 km/h überholen. Eine längere Erzählpartie führt ihn nach Oberitalien. Spätestens hier weiß man: Allmann fühlt sich richtig wohl in dieser Ecke. Hier ist er zuhause.

Zum Motiv des Autofahrens bzw. dem Gedankenfluss Allmann passt eine formale Eigenart des Buches: Nicht nur lässt Thommie Bayer seine Sätze extrem häufig mit einem „und“ beginnen. Dies passiert auch schon mal in zwei Sätzen hintereinander: „Und ich zündete mir ein Zigarette an. Und begriff mit Erstaunen, dass ich mich gleichzeitig in zwei völlig verschiedenen Zuständen befand“ (S. 144-145).

Nein, die Kapitel sind auch – statt konventionell durch Zahlen – durch das kaufmännische Und getrennt. Oder besser gesagt: verbunden. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, diese Zeichen einmal mitzulesen. Das treibt den Bewusstseinsstrom ganz eigenartig voran. Im Erzähltext entsteht ein Sog, ein Glückssog quasi, den der Lottogewinner gerade zu erleben scheint.

Das führt aber nicht dazu, dass Allmann ein durchweg sympathischer Zeitgenosse ist. Er vergisst Dinge. Seine Fähigkeit, andere richtig einzuschätzen, ist nicht immer einwandfrei. Vor allem aber: Er ändert in Windeseile seine Meinung oder verschiebt Pläne in die Zukunft: „Ich hatte keine Ruhe für das Ganze, ich würde wieder herkommen, irgendwann auf meiner Reise durch die oberitalienischen Städte“ (S. 177). Als er beschließt Freiburg zu verlassen, stellt er am nächsten Tag doch wieder fest, dass Freiburg eigentlich ganz schön sei. „Wollte ich wirklich hier weg? Ich hatte das Münster erst einmal von innen gesehen, und auf den Turm war ich noch nie gestiegen“ (S. 184).

Impulshandlungen und eine schräge Logik – das ist die bedauerliche Konsequenz dieser selbstironischen Erzählanlage. Die Lässigkeit aus dem ersten Drittel verliert in dem Moment an Sympathie, in dem ein glaubhaftes Ende konstruiert werden soll. Die Geschmeidigkeit der Formulierungen ist im ersten Drittel ein Genuss. Im letzten Drittel gerät sie unter die Räder der ständigen Selbstrelativierungen.

Auch der dramaturgische Höhepunkt im mittleren Drittel – seine Frau brennt mit einem anderen durch und will die Scheidung, ohne vom Lottogewinn erfahren zu haben – überzeugt nicht wirklich. Es war an dieser Stelle bereits zu erwarten, dass sie nicht mehr in der Handlung auftaucht bzw. zu ihm zurückkehrt.

Schließlich sinken Allmanns Gedankengänge gar auf triviales Niveau: „Architektur … und Kunst sind offenbar etwas, das man erst später entdeckt, in der Kindheit geht es nur darum, sich stark zu fühlen“ (S. 198). Ebenso befremdlich steht man dem Erzähler gegenüber, als sein Vater stirbt. Dieser schlug ihn als Kind und entwickelte sich in den 1980ern zum Altnazi zurück. Doch Allmann fragt sich allen Ernstes am Tag der Beerdigung: „Musste ich mich schämen, dass ich nicht um meinen Vater trauerte?“ (S. 198). Bei einem Schläger wohl verzeihlich.

Der permanente Sinneswandel, die Unzuverlässigkeit der Entscheidungen führt natürlich das Ende des Romans ad absurdum. Den geplanten Umzug nach Berlin will man dem Buch als Conclusio dieser ganzen Rallye durch Glück nicht so recht abnehmen. Es klingt nur als das romantisch-kitschige Motiv vom Neuanfang an, das leider blutleer bleibt. Allmann wird sich in Berlin ja nicht ändern. Wovon soll es ein Neuanfang sein? So lieb und teuer, wie ihm das südliche Baden, das Elsass, der Radius rund um Freiburg und auch Italien sind, gibt es keinen Grund, an diesen Neuanfang zu glauben.

Eines fällt allerdings auf. Es scheint ihn ja zu geben, den Mythos Berlin unter Stuttgartern. Zwischen Esslingen und Ludwigsburg scheint es ausgemachte Sache zu sein, mindestens einmal in Berlin arbeiten und leben zu müssen. Manchen zog es dorthin, viele kehrten zurück. Ob Bayer diesen Mythos unter den Schwaben aufs Korn nimmt? Die  Suche nach dem Glück in der Hauptstadt? Dieser Gedanke wäre ein versöhnliches Ende für diesen Roman.